Bund und Länder steuern auf schwierigen Corona-Gipfel zu

Reuters · Uhr

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Bund und Länder steuern auf einen sehr schwierigen Corona-Gipfel am Mittwoch zu.

"Wenn wir da Fehler machen, dann wird Vertrauen grundlegend verspielt", sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Montag in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem sächsischen Amtskollegen Michael Kretschmer (CDU). Deshalb erwarte er "einen langen Tag und einen langen Abend". Auch in Verhandlungskreisen hieß es, dass die Abstimmung zwischen den 16 Landesregierungen und der Bundesregierung sehr schwierig sei.

Differenzen über das Öffnungstempo gibt es sowohl zwischen den unionsgeführten Ländern, den SPD-Ministerpräsidenten als auch bei den Grünen, wie Teilnehmer der Gespräche der Nachrichtenagentur Reuters sagten. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach trotz steigender Fallzahlen von einer "Phase der Hoffnung" und verwies auf zunehmend mehr Impfungen und Tests. Vorsicht sei trotzdem weiter geboten.

Ein Grund für die schwierige Debatte ist die Trendwende bei den neuen Positiv-Tests, deren Zahlen seit vergangener Woche wohl auch wegen der Ausbreitung von ansteckenderen Virusvarianten wieder steigen statt wie zuvor sinken. Die Zahl der Intensivpatienten in Krankenhäusern stieg am Montag den zweiten Tag infolge laut Divi-Register leicht an. Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete 4732 weitere Positiv-Tests binnen 24 Stunden. Das sind rund 360 Fälle mehr als vor einer Woche. Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg im Vergleich zum Vortag auf 65,8 von 63,8 und entfernt sich damit wieder deutlicher von den von Bund und Ländern angestrebten Werten. Bei der Inzidenz - also der Zahl der neuen Positiv-Tests binnen sieben Tagen pro 100.000 Einwohner - gibt es laut RKI weiter sehr große Unterschiede etwa zwischen Rheinland-Pfalz mit einem Wert knapp unter 50 und Thüringen mit 126,5.

"Auf die derzeitige Inzidenztabelle kann keiner ein festes Haus bauen", warnte Söder mit Blick gerade auf Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, die an Frankreich angrenzen. Dort breitet sich in der Region Moselle die in Südafrika zuerst registrierte ansteckendere Virusvariante stark aus. Ab Dienstag gelten für das deutsch-französische Grenzgebiet neue Testauflagen, der grenzüberschreitende öffentliche Nahverkehr wird eingestellt. Stationäre Grenzkontrollen soll es aber auf Wunsch des Saarlands und Rheinland-Pfalz anders als an der deutschen Grenze zu Tschechien und Tirol nicht geben.

Ins Rutschen gerät die bisherige Corona-Politik von Bund und Ländern nun an mehreren Stellen. So hatten etliche Landesregierungen angekündigt, dass sie Öffnungsschritte etwa im Handel wollen, auch wenn der dafür vereinbarte "stabile" Wert von unter 35 nicht erreicht wird. Regierungssprecher Seibert räumte ein, dass solche Schritte mit zusätzlichen Absicherungen denkbar seien. Mit den Schnelltests seien die Inzidenzwerte von 35 und 50 künftig nicht mehr alleiniger Maßstab für Lockerungen, sagte auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz der "Bild".

Auch in einem Papier, in dem Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) die Positionen der Wirtschaft zusammenfasst, wird die Rücknahme von Corona-Einschränkungen nicht mehr an die Inzidenz von 35 oder 50 geknüpft. "Oberhalb einer Inzidenz von 50 Infektionen je 100.000 Einwohner eines Bundeslandes, eines Landkreises oder einer kreisfreien Stadt sind Lockerungen zulässig, wenn sie in Verbindung mit zusätzlichen Schutzmaßnahmen im Einzelfall vertretbar sind", heißt es in dem Reuters vorliegenden Papier. Aus der Wirtschaft kommen weitergehende Forderungen: "Der Handel muss am 8. März wieder öffnen", sagte etwa Heinrich Deichmann, Chef des Verwaltungsrats von Europas größtem Schuheinzelhändler, dem "Handelsblatt". Auch FDP-Chef Christian Lindner forderte "eine klare Öffnungsperspektive". Es sei "überfällig", dass nach den Friseuren am Montag auch körpernahe Dienstleistungen geöffnet würden. Dies gelte auch für den Sport und die Gastronomie, "wo es die Zahlen erlauben", sagte er.

GRUNDLEGENDE ÄNDERUNGEN BEI IMPFEN UND TESTEN GEFORDERT

Die Bundesregierung lehnte die Forderung Kretschmers und Söders ab, die bisherige Impfpriorisierung der Ständigen Impfkommission aushebeln. Sachsens Ministerpräsident hatte verlangt, dass alle Personen in der Grenzregion zu Tschechien geimpft werden müssten - unabhängig von ihrem Alter. Zum einen seien die Menschen dort am gefährdetsten, zum anderen würde dies auch verhindern, dass Infektionen weiter nach Deutschland hineingetragen würden. Söder wiederum verlangte eine sofortige Freigabe des Impfstoffs von Astrazeneca für alle sowie eine Verimpfung über Haus-, Betriebs- und Schulärzte. Regierungssprecher Steffen Seibert verwies dagegen darauf, dass keine Änderungen geplant seien und widersprach Berichten, dass Impfstoff ungenutzt herumliege. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will zudem Zehntausende Hausärzte - außer im Probebetrieb - erst dann mit in die Impfkampagne einbeziehen, wenn genug Impfstoff zur Verteilung vorhanden ist.

Söder pochte zudem wie Grünen-Chef Robert Habeck auf eine neue Test-Strategie. Die Grünen wollen, dass jedem Bundesbürger zwei Tests pro Woche angeboten werden sollten. "Es ist aber unrealistisch, dass sich dann jeder zweimal die Woche testen lässt", heißt es dazu in der Regierung. Man rechne nach den Erfahrungen von Österreich und Dänemark damit, dass sich bei einer Kostenübernahme rund zwei Millionen Personen wöchentlich testen lassen würden.

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