Die Pessimisten treiben die Kurse nach oben

Stefan Riße · Uhr

So manch erfahrener Börsianer reibt sich derzeit die Augen. Trotz teilweise wirklich überzogener Bewertungen, die an die Zeiten des Internetbooms und des Neuen Marktes in Deutschland erinnern, klettern die Technologiewerte weiter nach oben. Was für tollkühne Anleger sind das, die hier auf diesem Niveau noch einsteigen? Fraglos gibt es diese. Millionen neuer Brokerkonten wurden in der Krise eröffnet, vor allem auf so modernen Plattformen wie Robinhood oder Trade Republic. Doch derzeit werden die Kurse noch viel mehr von denen getrieben, die sie für überbewertet halten und das schon seit längerem.

2 × 2 gleich 5 – 1

Die Technologiewerte haben, gemessen am amerikanischen Nasdaq 100 Index, schon wieder Rekordkurse erreicht. Das bedeutet: Alle, die auf steigende Kurse setzen, verdienen momentan Geld und sind nicht in Bedrängnis. Denn wer auf steigende Kurse setzt und vielleicht sogar auf Kredit kauft, der bekommt erst Schwierigkeiten, wenn die Kurse schon ein Stück gefallen sind. Am Höchststand tut es denen nie weh. Wem es aber derzeit wehtut, sind diejenigen, die auf fallende Kurse setzen. So offensichtlich ist die Überbewertung von Tesla, so dass sich diese Spekulation geradezu aufdrängt. Die Aktie ist derzeit so viel wert wie Daimler, Volkswagen, BMW, Porsche, PSA, Renault, Fiat Chrysler, Toyota, Nissan, Honda, Mitsubishi, Ford, General Motors, KIA und Hyundai zusammen. Unglaublich! Doch eben weil so viele auf das offensichtlich Richtige setzen, tritt es nicht ein. Denn ein paar verwegene Käufer, wahrscheinlich der oben genannten Gruppe zugehörig, treiben die Kurse von Tesla und anderen Technologiewerten, die noch gar kein Gewinn machen, weiter nach oben. Das wird dann für die Leerverkäufer, die sich diese Aktien geliehen haben, um sie irgendwann nach erfolgter Korrektur zurück zu kaufen, einfach zu teuer. Unter diesem Druck kaufen Sie nun teurer anstatt billiger zurück, um ihre Verluste zu begrenzen und treiben ihrerseits die Kurse weiter an. Dass diese Kräfte momentan enorm wirken, kann man daran ablesen, dass die am stärksten in Bezug auf ihre Marktkapitalisierung leer verkauften Aktien am stärksten gestiegen sind, weit mehr als der S&P 500 oder der Nasdaq Index. Auch im Nebenwertesegment ist dies so. So sind die Aktien der Unternehmen, die Verluste machen und Cash verbrennen, weit mehr gestiegen, als Unternehmen die profitabel sind und Cash generieren. Das alles ist absurd und wird irgendwann sicherlich korrigiert, die Frage ist nur wann. An der Börse, so sagte es Börsenlegende André Kostolany so schön, ist 1×1 nicht 4, sondern 5 – 1. Das bedeutet es kommt schon so, wie es kommen muss, aber eben nicht auf direktem Weg. Und man muss die finanzielle Potenz und auch die Geduld haben, auf das „-1“ zu warten.

Shortspekulation hat ein schlechtes Chance/Risiko-Verhältnis

Wer auf fallende Aktien setzt und dabei Shortpositionen eingeht, der muss sich eines klarmachen: Eine Aktie kann maximal um 100 Prozent fallen, aber um viele 1000 Prozent steigen. Tesla hat dies einzigartig im vergangenen Jahr vorgeführt. Die Aktie hat sich versechsfacht. Das heißt, diejenigen, die am Jahresanfang schon auf fallende Kurse von Tesla gesetzt haben und heute die Position noch halten, wovon es wenige geben dürfte, haben das sechsfache ihres theoretisch maximalen Gewinnpotenzials verloren. Auf fallende Kurse zu setzen, ist daher sehr riskant und eher selten erfolgreich. Wer es dennoch machen will, sollte lieber Verkaufsoptionen kaufen. Diese können allenfalls wertlos verfallen. Damit lässt sich das Verlustrisiko genau quantifizieren. Sie können aber sogar um das Vielfache steigen, wenn die Kurse tatsächlich fallen. Der Nachteil der Optionen liegt dafür daran, dass sie irgendwann auslaufen und die Kurse bis dahin gefallen sein müssen, andernfalls geht die sogenannte Optionsprämie verloren. Man kann dann eine neue Verkaufsoption erwerben, aber das geht irgendwann auch ins Geld.

Derzeit scheint auf jeden Fall für die Optimisten die Sonne und das kann auch noch eine Zeit lang so weitergehen, womöglich genau bis zu dem Zeitpunkt, an dem die meisten Pessimisten das Handtuch werfen und nicht mehr auf fallende Kurse setzen.

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