Warum jetzt die Hyperinflation kommen könnte – und warum nicht

Bernd Schmid · Uhr

Beginnt jetzt die Zeit der großen Inflation?

Die Zentralbanken scheinen Geld zu drucken wie nie zuvor. Staaten nehmen daher sage und schreibe Billionen neuer Währung auf und geben sie an die Bevölkerung weiter. Ein Argument dafür.

Außerdem scheinen das auch die Charts von Gold, Silber und deren digitalen Pendants Bitcoin und Ethereum zu suggerieren. Edelmetalle boten in der Vergangenheit einen sehr guten Inflationsschutz. Und die Charts dieser haben in den letzten Wochen Widerstände überwunden.

Gold über seinem Allzeithoch:

Silber über 20 US-Dollar:

Bitcoin über 11.500 US-Dollar:

Ethereum über 350 US-Dollar:

Bisher war ich kein großer Fan von Charttechnik. Als langfristig orientierter Investor konnte ich dieser nie etwas abgewinnen.

Mittlerweile hat sich meine Meinung geändert. Ein Zitat in einem Forum darüber hat mich wieder zum Nachdenken gebracht:

„Aktienbewegungen sind kurzfristig weitgehend emotionsgetrieben, und wenn zwei Charts Ähnlichkeiten zueinander aufweisen, kann es sein, dass sie eine ähnliche Menge an Emotionen repräsentieren und daher zu ähnlichen Ergebnissen führen.“

Als langfristig orientierter Investor ist einem die Relevanz von Psychologie und Emotionen beim Investieren bewusst. Aus diesem Grund glaube ich, dass es durchaus Bedeutung hat, wenn solche Hürden – die leicht mit dem Ankereffekt erklärt werden können – genommen werden.

Bedeutet das jetzt, dass wir „endlich“ (aus Sicht der Zentralbanken) mal wieder mit einer Inflation rechnen müssen, die diesen Namen verdient? Also Verbraucherpreisinflation und nicht nur Vermögensinflation? Vielleicht sogar einer Hyperinflation, wie es manche sehen?

Nicht so schnell – so wird Geld in Wirklichkeit geschaffen

Twitter ist großartig. Man findet immer wieder Threads, die einem die Augen öffnen. Letzte Woche erschien ein solcher in meinem Feed. Er kam von einem Entrepreneur namens Travis Kimmel und er behandelte das Thema Inflation.

Und seine Argumentation ist sehr gut. Er bezieht sich zwar auf den US-Dollar, aber das lässt sich auf den Euro übertragen.

Ein wichtiger Punkt der Argumentation ist die Entstehung von Geld. Das geschieht nämlich nicht durch das „Gelddrucken“ der Zentralbanken. Zusätzliche US-Dollars kommen dadurch nicht in den Umlauf. Das Einzige was passiert, ist, dass die Zentralbank den Banken mehr US-Dollar-Reserven „gibt“ im Austausch für Staatsanleihen (oder seit Neuestem auch Dingen wie unter anderem Anteilen an Junk Bond ETFs).

Der Effekt: Banken haben zwar mehr US-Dollar-Reserven und im gleichen Maße weniger Wertpapiere. Aber diese Reserven sind dadurch noch nicht in der Wirtschaft angelangt, wo sie Inflation verursachen können.

Das geschieht erst, wenn die Banken mehr Kredite vergeben. Das ist die eigentliche Geldschöpfung. Wenn jemand zum Beispiel ein Haus kaufen möchte, geht er zur Bank und bekommt einen Kredit. Dieser Kredit wird nicht durch bestehende US-Dollars (oder Euros bei uns) „finanziert“, die die Bank bereits irgendwo liegen hat. Stattdessen werden einfach so aus dem Nichts neue US-Dollars geschaffen und auf das Konto des Häuslebauers gelegt.

Und das ist nach meinem Verständnis auch die einzige Art und Weise, wie im aktuellen Geldsystem Geld geschaffen wird: Eine Bank vergibt einen Kredit.

Umgekehrt ist es genauso: Wird ein Kredit an eine Bank zurückgezahlt, wird dieses Geld nicht von der Bank an jemand anderen weitergegeben. Es wird einfach „gelöscht“ und existiert nicht mehr. Geld wurde vernichtet.

Was ist jetzt mit der Inflation?

Die Theorie ist nun, dass Inflation genau dann entsteht, wenn mehr Geld geschöpft als vernichtet wird. Also wenn mehr Kredite von Banken gegeben werden, als von Kreditnehmern in demselben Zeitraum zurückgezahlt werden.

Laut Kimmel gab es einen kurzen Schub von Inflation infolge der Coronakrise. Und zwar deswegen, weil Unternehmen aufgrund der hohen Unsicherheit zukünftiger Cashflows (wegen des Lockdowns) zur Sicherheit lieber mehr Kredite aufgenommen haben. Gleichzeitig wurde es Kreditnehmern erlaubt, ihre Rückzahlungen temporär auszusetzen.

Das bedeutet: In diesem Zeitraum wurde mehr Geld geschaffen als vernichtet. Inflation.

Was aber kommt als nächstes?

Die Unsicherheit in der Wirtschaft ist groß. Unternehmen können aktuell nicht für die nächsten 1-2 Jahre planen und haben demnach auch mittelfristig Unsicherheiten. Viele Arbeitslose wissen nicht, wann sie ihren Job wieder zurückbekommen. In Deutschland sind sehr viele Menschen in Kurzarbeit – viele davon vielleicht bis mindestens Dezember 2021, bis dahin wurde das Kurzarbeitergeld gerade verlängert.

Unter diesen Voraussetzungen erscheint es unwahrscheinlich, dass die Kreditaufnahme weiter steigen wird. So gesehen fällt es mir schwer, daran zu glauben, dass in den nächsten 12 bis 18 Monaten eine größere Inflationswelle über uns einbrechen wird. Eher eine steigende Deflation, also günstigere Preise.

Und danach?

Etwas, das Kimmel nicht anspricht ist: Auf welches Waren und Dienstleistungsangebot trifft die wahrscheinlich geringere Geldmenge? Sollten sich verknappen und die Verknappung stärker sein als die Geldvernichtung auf der anderen Seite, dann trifft weniger Geld auf noch weniger Waren/Dienstleistungen.

Das könnte dann trotz Geldvernichtung zu höheren Preisen führen: Stagflation.

Das wünscht sich eigentlich niemand. Aber wenn man das Risiko mit einrechnet, dass aufgrund der gesunkenen wirtschaftlichen Tätigkeit das Insolvenzrisiko bei Unternehmen steigt, dann erscheint mir das mittelfristig durchaus realistisch.

Ob das geschieht hängt allerdings auch von der Politik ab. Verbreitet sich zum Beispiel die direkte Staatsfinanzierung durch die Notenbanken (was im Prinzip in Großbritannien und den USA bereits angefangen hat, stattzufinden) in großem Maße – wer weiß, was dann passiert?

In jedem Fall wette ich darauf, dass die kommenden 1-2 Jahre sehr spannend werden und Dinge geschehen können, die die meisten von uns noch nie erlebt haben.

Foto: Noska Photo / Shutterstock.com

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