Scholz will Mindestlohn von 15 Euro - Lässt Zeitpunkt offen

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Berlin (Reuters) - Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich für eine stufenweise Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns von derzeit 12,41 Euro auf 15 Euro ausgesprochen.

Die Arbeitgeber reagierten am Dienstag empört und warfen ihrerseits dem Kanzler einen Tabubruch vor. Es sei "brandgefährlich, aus wahlkampftaktischen Gründen den Druck auf die Mindestlohnkommission stetig zu erhöhen", erklärte Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger. Auch aus der FDP kam eine Absage. "Es ist legitim, dass Olaf Scholz auch in der Rolle des SPD-Kanzlerkandidaten 2025 spricht", hieß es in der FDP. "Für diese Wahlperiode ist der Koalitionsvertrag eindeutig." Für einen höheren Mindestlohn warben Grüne und DGB.

"Ich bin klar dafür, den Mindestlohn erst auf 14 Euro, dann im nächsten Schritt auf 15 Euro anzuheben", sagte Scholz dem Magazin "stern". Er ließ aber völlig offen, in welchem Zeitraum er diese Ankündigung einlösen könnte und wie dies umgesetzt werden sollte. Vor der Bundestagswahl voraussichtlich im Herbst 2025 ist dafür in der Ampel-Koalition keine Mehrheit in Sicht. Die FDP hat mehrfach deutlich gemacht, dass sie eine nochmalige Erhöhung des Mindestlohns per Gesetz ohne Beschluss der dafür zuständigen Mindestlohn-Kommission nicht mitträgt.

FDP-GENERALSEKRETÄR: POLITIK SOLL SICH RAUSHALTEN

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai unterstrich dies am Dienstag. "Die Höhe des Mindestlohns wird zurecht von der zuständigen Kommission vorgeschlagen", sagte Djir-Sarai Reuters. "Aus diesem Prozess sollte sich die Politik heraushalten."

Die Grünen dagegen treten seit langem für einen höheren Mindestlohn und eine Reform des Verfahrens in der Kommission aus Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgebern ein. Sie wollen gesetzlich festlegen, dass die Kommission eine Mindesthöhe nicht unterschreitet. "Diese Mindestgrenze sollte künftig bei 60 Prozent des Medianeinkommens liegen", sagte die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Sandra Detzer, der Nachrichtenagentur Reuters. "Dies entspräche auch der Zielmarke der Europäischen Union. Für diesen Vorschlag werden wir weiter in der Koalition werben." Das wären derzeit für Deutschland etwas mehr als 14 Euro pro Stunde.

Für die Umsetzung der europäischen Mindestlohnrichtlinie warben auch SPD und Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB). Sie sieht 60 Prozent vom mittleren Einkommen von Vollzeitbeschäftigten als Maßstab vor. "Natürlich sind im nächsten Jahr 15 Euro drin, weil die Entwicklung ja weitergeht, die Preise steigen und die Gewerkschaften auch in diesem Jahr gute Tarifabschlüsse hinlegen werden", sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. SPD-Vizefraktionschefin Dagmar Schmidt erklärte, der Mindestlohn müsse "so hoch sein, dass Alleinstehende armutsfest davon leben können, wenn sie einen Vollzeitjob auf Mindestlohnniveau haben". Eine Orientierung an der EU-Mindestlohnrichtlinie "mit einer Erhöhung in zwei Schritten auf 15 Euro ist daher sinnvoll".

AUS FÜR MINDESTLOHN-KOMMISSION?

Die Ampel-Koalition hatte per Gesetz zum 1. Oktober 2022 den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöht, nachdem SPD und Grüne dies im Wahlkampf 2021 versprochen hatten. Das waren 1,55 Euro mehr als die Kommission zu dem Zeitpunkt vorgesehen hatte. Arbeitgeber-Präsident Dulger warnte nun indirekt vor einem Aus für die Kommission, die mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 ins Leben gerufen worden war. "Wenn Politik und Gewerkschaften weiter die Verhandlungen zum Mindestlohn in der Presse führen, dann kann man die Mindestlohnkommission auch gleich auflösen", erklärte Dulger. Es sei "Unsinn", wenn der Kanzler behaupte, die Arbeitgeber hätten mit der Entscheidung der Kommission im Jahr 2023 einen Tabubruch begangen.

Scholz warf im "stern" den Arbeitgebern vor, sie hätten "mit der sozialpartnerschaftlichen Tradition gebrochen, einvernehmlich zu entscheiden". Die Mindestlohn-Kommission, der je drei Vertreter von Gewerkschaften und Arbeitgeber angehören, soll laut Gesetz alle zwei Jahre über eine Anpassung der Lohnuntergrenze entscheiden. Zuletzt hatte sie Ende Juni 2023 entschieden, dass der Mindestlohn 2024 auf 12,41 Euro und 2025 auf 12,82 Euro steigen soll. Erstmals fiel die Entscheidung nicht einvernehmlich. Stattdessen gab die Stimme der Vorsitzenden Christiane Schönefeld den Ausschlag, da sich die Sozialpartner nicht auf einen gemeinsamen Vorschlag verständigten konnten. Dies ist im Mindestlohngesetz so vorgesehen.

Aus Teilen der Bundesregierung wurde die Anhebung angesichts der hohen Inflation in den Jahren 2022 und 2023 zwar als zu gering kritisiert. Gleichwohl setzte die Regierung den Beschluss als Verordnung in Kraft. Andernfalls wäre es bei der Mindestlohnhöhe von zwölf Euro aus dem Jahr 2023 geblieben.

Kritik hatte auch ein Kniff in der Mindestlohn-Kommission zur Berechnung der Anpassung ausgelöst. Sie soll sich nachlaufend an den Tariferhöhungen orientieren. Als Grundlage für die prozentuale Anhebung wurden aber 10,45 Euro genommen. Die gesetzliche Erhöhung um unter dem Strich 1,55 Euro wurde damit faktisch teilweise wieder verrechnet. Die Gewerkschaften hatten dies als "vollkommen aberwitzig" abgelehnt.

Der Großhandelsverband BGA bezeichnete den Vorstoß des Kanzlers als Frechheit. "Der Versuch der Politik, nun aktiv in die Lohnfindung einzugreifen, ist der Höhepunkt einer verfehlten und praxisfernen Wirtschaftspolitik", erklärte der Verband.

(Bericht von Holger Hansen, Christian Krämer, Alexander Ratz, Andreas Rinke. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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